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Der Kulturvernetzer

11. November 2021
Lange Zeit wohnte im Dachgeschoss des Rathauses der Bauingenieur und Gemeinderat Bruno Anliker. Er genoss besonders den Weitblick aus dem Dachaufbau über dem Städtli. Inzwischen haben Kulturschaffende aus der ganzen Welt diese Wohnung übernommen. Eingeladen werden die Künstler*innen von der Dogo Residenz für Neue Kunst. Co-Leiter Hanes Sturzenegger spannt mit seinem Team ein vielfältiges Kulturnetz. Im Städtli entsteht dadurch fruchtbarer Nährboden für die Entwicklung von Kulturschaffenden und für die Produktion zeitgenössischer Kunst. An der Dogo Totale am Stadtufer wird im November das vielfältige Schaffen sichtbar.

Es ist eine schmale und steile Treppe, die von der Wohnung im Dachgeschoss des Rathauses zum eindrücklichen Dachaufbau führt. Wer hier oben steht, hat einen einzigartigen Blick auf die Dachlandschaft der Altstadt. Der kleine Raum im Dachaufbau gehört wahrscheinlich zum beliebtesten Zimmer für Kunstschaffende, die hier während Wochen oder Monaten wohnen und sich voll und ganz der Kultur widmen können. Verantwortlich dafür, dass die Künstler*innen diesen einzigartigen Ausblick geniessen können und sich hier wohlfühlen ist u.a. der 29-jährige Hanes Sturzenegger.

Er ist nicht im Toggenburg aufgewachsen, sondern in Hombrechtikon. In Basel studierte er bildende Kunst und verfolgt neben Dogo eigene künstlerische Projekte.Er arbeitet als Fotograf, Filmemacher oder Trockensteinmaurer. Im vierköpfigen Team von Dogo wirken weiter Sirkka Ammann, Marcel Hörler und Maura Kressig mit.

Zeitgenössische Kunst im Fokus
Im Zentrum von Dogo steht einerseits die künstlerische Entwicklung und anderseits die Vermittlung sowie die Produktion von zeitgenössischer Kunst. Hanes Sturzenegger ist fasziniert von den Eigenheiten und der Freiheit der Kunst. Es gibt für ihn auch nicht «DIE Kunst». Ein wenig abseits vom Mainstream kommt Kunst in einer noch grösseren Diversität vor. Die vielen Lebensrealitäten und Arbeitsweisen von Künstler*innen halten Hanes Sturzenegger laufend den Spiegel vor Augen. Gleichzeitig ist Kunst nicht selbstverständlich. Es braucht das Engagement von Projekten wie Dogo, dass sie sich weiterentwickelt.

Die Eröffnung von Dogo fand im Jahr 2019 statt. Die Residenz ist eingebettet im Rathaus für Kultur. Die künstlerischen Prozesse sowie die entstandenen Arbeiten sind im öffentlichen Online-Archiv dokumentiert. Das ganze Jahr über organisiert Dogo gemeinsam mit Kunstschaffenden diverse Veranstaltungen wie Gesprächsrunden oder experimentelle Vermittlungsformate, die allen Interessierten offenstehen. So ergeben sich auch mit Einheimischen spannende Austausche. Ein weiterer Bestandteil von Dogo ist die Kunstvermittlung. Die Dogo Kunstschule veranstaltet vielfältige Workshops und Projekte. Sie wird von Silke kleine Kalvelage und dem Lichtensteiger Pedrin Louis betrieben.

Jung und erfahren
Die Macher*innen von Dogo haben nicht bei null gestartet. Während sieben Jahren haben sie unter dem Namen «Arthur Junior» Ausstellungen im ganzen Toggenburg organisiert. Nach den erfolgreichen Wanderjahren im Tal waren sie bereit für eine neue Herausforderung. «Wir wollten das ortsspezifische Arbeiten, das wir mit Arthur Junior verfolgt haben, beibehalten und durch die längeren Aufenthalte der Künstler*innen intensivieren», sagt Hanes Sturzenegger. Zusätzlich bietet das Arbeiten am gleichen Ort viele Kollaborationsmöglichkeiten.

Und gerade diese Kollaborationen machen das Team von Dogo besonders stolz. Über die letzten drei Jahre konnten sie wertvolle Zusammenarbeiten aufbauen. Darunter mit Menschen aus Lichtensteig und Umgebung, aber auch mit Institutionen wie der Hochschule Luzern oder dem Tanzplan Ost. Erfreulich ist, dass viele Künstler*innen nach ihrer Residenz das Städtli wieder besuchen und so neue Projekte entstehen. Einige sind inzwischen sogar in Lichtensteig wohnhaft.

Land statt Stadt
Lichtensteig ist eine Stadt. Architektonisch wie im Geiste! Dies natürlich immer mit ein bisschen Selbstironie und doch ganz ernst. Auch Hanes Sturzenegger betont, dass er gerade diesen Mix zwischen familiärem und städtischem schätzt. Für einige Kulturschaffende aus dem urbanen Raum dürfte der Aufenthalt im Städtli trotz allem ein kleiner «Land-Kulturschock» sein. Solche Residenzprojekte findet man sonst eher in den grossen Metropolen wie Mailand, Paris oder Berlin. Hier setzt Dogo einen Kontrast. Anstatt Kunst in den grossen Städten zu produzieren und zu suchen, holen sie die spannenden Künstler*innen lieber direkt hierher. Und das mit Erfolg. Allein bei der ersten Ausschreibung haben sich über 123 Künstler*innen aus der ganzen Welt beworben. Das Vorhaben kann gemäss Hanes Sturzenegger mit folgenden Faktoren punkten: «Wir können gute Räume bieten, ein diverses Netzwerk und wir leben die Rolle als Gastgeber*innen». Das Toggenburg begeistert die Kulturschaffenden zudem mit der Kulinarik, den schönen Landschaften und den vielen kleinen Kulturinitiativen, welche den Aufenthalt umso angenehmer machen.

Herausforderungen meistern und Pläne schmieden
Dogo ist trotz seiner Vorgeschichte ein «kultureller Startup». Dementsprechend gibt es immer wieder Herausforderungen zu meistern. Gerade jetzt beschäftigt die Ungewissheit bezüglich Covid-19-Einschränkungen. Hinzu kommen die finanziellen Herausforderungen, da die Mittel im Kultursektor ohnehin immer knapp sind. Sowohl die Pandemie wie auch die finanziellen Themen verlangen viel Flexibilität, Innovation und zusätzliches Engagement.

Und diesen zusätzlichen Effort ist das ganze Team gerne bereit zu leisten. Sie planen bereits die nächsten beiden Jahre. Für 2022 haben sie Vertreter*innen aus den darstellenden Künsten eingeladen, die zum Jahresthema «Home» arbeiten. Es kommen Menschen aus den Bereichen Theater, Musik und Tanz ins Städtli. Ein Jahr später wird dann das kollektive Arbeiten ein Schwerpunkt. Hanes Sturzenegger freut sich darauf spannende Menschen und Gruppen kennenzulernen und sich mit der Kunst auseinanderzusetzen.

«Dogo Totale 2021»
Zuerst folgt nun der fulminante Jahresabschluss. In den letzten beiden Jahren wurde enorm viel gearbeitet. Diese Arbeit soll möglichst vielen Menschen zugänglich gemacht werden. Die Doppelausstellung «Dogo Totale 2021: Relationen + Risiken» präsentiert auf dem Areal Stadtufer die Werke der 26 Künstler*innen von 2020/2021. Die künstlerischen Werke reichen von Installationen, Malereien, über Performances, zu Sound- und Videoarbeiten. Die Ausstellung «Relationen» spielt mit offenen Karten. Hier können sich die Besuchenden nicht nur den Werken, sondern auch den künstlerischen Prozessen, die ihren Weg normalerweise nicht in den Ausstellungsraum finden, annähern. Skizzenhaft und fragmentarisch wird den Produktionsverhältnissen, den sozialen und kulturellen Kontexten und im Allgemeinen den Einflüssen auf die Arbeiten Raum gegeben. Das Verhältnis zwischen dem Unvollendeten und dem fertigen Werk erhält dadurch eine Bedeutung.

Die Ausstellung «Risiken» widmet sich den möglichen Auswirkungen durch Handlungen im Kontext des Unplanbaren und Unsicheren – eine Konstante in unserer Gesellschaft. Die Doppelausstellung «Dogo Totale 2021: Relationen + Risiken» ist eine Begegnung der Werke einer zweijährigen Schaffensphase des Kunstvereins. Mit der Jahrespublikation im Taschenbuchformat sind zwanzig Text- und Bildbeiträge von Dogo Künstler*innen und eingeladenen Autor*innen entstanden. Dies, um den aktuellen Risikogefügen, mit denen sich nicht nur Kulturschaffende auseinandersetzen, nachzuspüren.

Am 13. November findet die Eröffnung der Jahresausstellung statt.

Dogo Totale vom 13. – 27.11.2021 / Programm – Dogo Residenz

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